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Susanne Sommer

Annas Trauer


Texas Longhorn Fine Anna, Moosacker Ranch

Raindance lebte in den Tag hinein wie immer. Sie trank Milch am Euter der Mutter, zog mit der Herde auf die Weide, tollte ein wenig herum, schlief ausgiebig, graste ein bisschen und kam abends wieder mit der Herde nach Hause. Der Nachhauseweg war immer ein Fest - alle rasten so schnell sie konnten dem Stall entgegen. Choose versperrte den Kühen manchmal den Weg, aber sie tricksten ihn stets aus. Neben seinen Hörnern gab es kein Durchkommen - doch seinen Hintern umschifften sie immer im Nu und sehr elegant. Sobald die erste durch war, gab er es meistens auf und trottete hinterher.


Texas Longhorn Bulle Choose a Coke, Moosacker Ranch
Choose a Coke, der Wächter des Tors

Der Abend brachte nichts Aussergewöhnliches. Die Menschen kamen mit süssen Maiswürfeln und dann legte sich die Nacht sanft über die Welt wie ein dunkler Schleier. Wie gewöhnlich kam die alte Frau zwei Mal pro Nacht vorbei und leuchtete mit der Taschenlampe. In den frühen Morgenstunden wurde Anna unruhig. Sie stand ein paar Mal auf und legte sich wieder hin. Nirgends schien sie richtig wohl zu sein. Raindance beobachtete sie genau. Auch die älteren Kühe nahmen das zur Kenntnis, aber es kümmerte sie nicht. Dieses Verhalten schien also nichts Beunruhigendes zu sein, weshalb Raindance wieder ihren Kopf auf das Strohbett legte und weiterschlief.


Erst als Anna ein gequältes Stöhnen von sich gab, hob Raindance wieder ihren Kopf. Anna lag auf dem Strohbett auf der Seite und ihr Körper schien sich nun in wellenartigen Abständen aufzublähen, während sie alle vier Beine von sich streckte. So ging das eine Zeit lang, bis irgendwann etwas Weisses aus Annas Hinterteil herausflutschte. Sofort war sie auf den Beinen, drehte sich um und da erkannte Raindance einen ihr wohlbekannten Laut. Es war ein sehr sanftes, tiefes Muhen - fast wie ein liebevolles Grollen, das tief aus Annas Kehle emporstieg. Es war das erste Geräusch, das Raindance damals in der Welt gehört hatte - nur war es diesmal nicht für sie bestimmt: Anna redete mit ihrem Kalb. Doch das Kalb antwortete nicht. Es bewegte sich nicht, schüttelte nicht den Kopf und zappelte nicht mit den Beinen. Es lag einfach nur da.


Als es hell wurde, kamen so wie immer auch die Menschen. Heute schaute zuerst die alte Frau herein und kurz darauf Susanne. Sie redeten nur leise miteinander. Susanne kam hinter die Absperrung und sah sich das Kalb aus der Nähe an. Noch immer hatte es sich nicht bewegt und noch immer versuchte Anna, es mit Schlecken und Muhen zu einer Reaktion zu bewegen. Aber nichts geschah. Susanne ging.


Langsam erhob sich die ganze Herde, einer nach dem anderen. Alle betrachteten das Kalb, manche rochen daran. Irgendwann zog die Herde auf die Weide und Anna blieb allein zurück mit ihrem toten Kalb. Als es gegen Mittag ging, sah auch Anna ein, dass die Herde weiterziehen musste. Es war ein uralter Instinkt, dem sie folgte - selbst wenn ihr Weg sie nur auf die Weide hinter dem Haus und nicht über die Prärie bis hinter den Horizont führte. Sie liess das Kalb zurück. Allerdings ging nie weit weg und kam immer wieder zurück, um zu schauen, ob sich etwas getan hatte. Doch es änderte sich nichts. Über Anna und die ganze Herde legte sich eine grosse Traurigkeit.


Als die Sonne fast senkrecht am Himmel stand, zog Susanne ihre Gummistiefel an, hob Billy an den Beinen hoch und trug ihn zum Stall hinaus. Billy wehrte sich nicht. Anna sah von der Weide aus zu. Ihr war inzwischen klar, dass Billy ihre Hilfe nicht mehr benötigte.


Raindance hatte noch nie einen Menschen weinen gesehen. Aber jetzt standen Susanne und die alte Frau ganz nahe beieinander und liessen Wasser aus ihren Augen laufen. Raindance verstand nicht konkret, was das bedeutete, aber sie spürte, dass auch die Menschen traurig waren.


In den nächsten Tagen kümmerten die Menschen sich ausgiebig um Anna. Normalerweise schienen sie niemanden speziell zu bevorzugen, aber jetzt konnte Raindance beobachten, dass die Menschen Anna viel mehr Aufmerksamkeit schenkten als sonst. Sie streichelten sie ganz oft, liessen sie irgendwas aus der Hand schlecken (es waren Globuli zur Bewältigung der Trauer) und redeten freundlich mit ihr.


Anna blieb jetzt oft etwas abseits der Herde und niemand ausser ihr legte sich an den Platz, an dem Billy gestorben war, bis die Menschen frisches Stroh darüberstreuten. Erst als ein paar Tage vergangen waren, fand die Herde - und mit ihr Anna - zu altem Elan und Lebensfreude zurück. Der Stall und die ganze Welt erschien auf einmal wieder viel heller, alle atmeten wieder leichter ein und aus, die Menschen gingen aufrechter umher und lachten, die Kälber sprangen herum und das Leben ging weiter.


Texas Longhorn Fine Anna, Moosacker Ranch
Texas Longhorn Fine Anna erholt sich von ihrer Trauer



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