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Eine aufregende Nacht

Als Raindance zwei Monate alt war, wurden die Menschen nervös. Sie kamen noch öfter in den Stall als sonst und jetzt leuchtete nicht nur die alte Frau jede Nacht mit der Taschenlampe, sondern auch Jürg oder Susanne kamen mehrmals pro Nacht vorbei.


Raindance fiel das zwar auf, aber es kümmerte sie wenig. Ein Texas Longhorn schlief sowieso nicht die ganze Nacht lang durch. Es zog seinen Fress-Schlaf-Rhythmus einfach weiter, egal ob es nun hell oder dunkel war. Das einzig Störende waren die Lampen. Denn ein Texas Longhorn sah in der Nacht recht gut. Seine Augen konnten sich aber nicht so schnell dem Licht anpassen wie ein menschliches Auge es konnte.


Eines Nachts zog die Herde gerade los auf die Weide. Der Weg führte über die Hostet unter dem Bauernhaus. Es war Herbst, Nachbars Rinder waren von der Sömmerung zurückgekehrt und besiedelten die Nachbarweide. Ein Texas Longhorn konnte über viele Kilometer hinweg Dinge riechen. Und so war es nicht verwunderlich, dass Choose und Dusty ihre männliche Potenz lauthals in die Welt hinausbrüllten, wenn ein neuer Damenduft ihre grossen Nasenlöcher so intensiv umwehte.


Kurz nachdem das Gebrüll losgegangen war, kamen die Menschen mit der Taschenlampe. Diesmal verzogen sie sich aber nicht so schnell wieder, sondern machten das Licht im Stall an. Rose war die erste, die entschied, dass es vielleicht klug wäre, nachzusehen, ob es dort Maiswürfel zu futtern gab. Und tatsächlich. So war es. Nach und nach ging die ganze Herde zurück in den Stall.


Was Raindance nicht bewusst war - und es war ihr auch herzlich egal - war die Tatsache, dass dies nur geschah, weil Californias geplatzte Fruchtblase im Schein der Taschenlampe erblickt worden war. Hätte Raindance denken können wir ein Mensch, hätte sie kombiniert, dass die Menschen deswegen die ganze Zeit so nervös gewesen waren. Nachdem Anna ihren Billy verloren hatte, sahen sie einer Geburt nicht mehr nur voller Vorfreude entgegen. Nun schwebte die Angst wie ein flüchtiger Schatten über dem Ereignis und trieb sie Nacht für Nacht aus dem Bett.


Eine Texas Longhorn Kuh gebar ihr Kalb meistens völlig problemlos. Oft brauchte sie dafür nicht mehr als halbe Stunde, sobald die Fruchtblase sich zeigte. Rose hatte ihr erstes Kalb Jaki sogar in einer Rekordzeit von 8 Minuten buchstäblich in die Welt hinausgeschossen. Dennoch waren die Menschen offenbar entschlossen, ab jetzt keine Geburt mehr zu verpassen. Wie unrealistisch das war, sollten sie noch früh genug erfahren, aber eines war klar: California würde ihr erstes Kalb nicht ohne ihre Gesellschaft in die Welt stellen.


Texas Longhorn Kalb Daisy, Moosacker Ranch
Raindance und Petra begrüssen die neugeborene Daisy

Die Menschen verhielten sich nun still, sassen auf der Stallbank und tranken ihren Kaffee. Die meisten Kühe frassen Heu und einige legten sich wieder hin - darunter auch California. Genau wie Anna damals streckte nun auch sie alle vier Beine weit von sich. Raindance ging zu ihr hin und schnupperte an einem Huf. Dabei fing sie sich einen Nasenstüber ein. Californias Beine zuckten nämlich bei jeder Wehe unkontrolliert. Gleichzeitig riss sie die Augen auf, gab aber ausser einem lauten Schnaufen keinen Laut von sich. Ein paar Mal versuchte sie aufzustehen, aber ihre Beine zappelten nur hilflos in der Luft. Sie sah aus wie ein auf der Seite liegender Kugelfisch mit Beinen dran. Raindance war neugierig. Sie schnupperte an den kleinen Klauen, die jetzt aus Californias Hinterteil ragten. Als die Vorderbeine und der Kopf draussen waren, schaffte California es, ihre Beine unter ihren Körper zu ziehen und aufzustehen. Nun tat die Schwerkraft das Nötige. Das Kalb plumpste auf das Strohbett. Sofort drehte California sich um, begrüsste es und fing an, es abzuschlecken.

Ein wenig später kamen auch die Menschen näher und sprachen freundlich zu California und dem Kalb. Nachdem die kleine Daisy auf schwankenden Beinen stand und das Euter gefunden hatte, gingen die Menschen und löschten endlich das Licht.


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